
100-jähriger Schnee
Wer kennt den Zauber des Walliser Winters nicht besser als die Menschen, die diese magische Jahreszeit schon 96-, 100- oder 101-mal erlebt haben? Niemand. Und genau für diese Walliser haben wir ein ganz besonderes Geschenk mitgebracht: Schnee aus ihrem allerersten Winter. Schnee, der in ihrem Geburtsjahr gefallen ist. Dies einerseits zum Dank, dass auch sie das Wallis während ihrer Lebzeiten mitgeprägt haben und andererseits, um an ihren Erinnerungen an diese Zeit teilzuhaben. Sie weiter zu tragen.
Sophie Harnisch
Ab nächstem Jahr will sie kürzertreten – und den Touristenshop in Oberwald an der Furka nur noch im 50-Prozent-Pensum führen. Bis 1995 führte die Mutter von vier Kindern das eleganteste Schuhgeschäft in Brig. Nun möchte sie gerne mehr Zeit mit ihrer Tochter, der Sopranistin Rachel Harnisch, und deren Kindern verbringen. Sophie Harnisch war eine der ersten Frauen, die Ski fuhren. Und zwar schnell: «Ich musste ja meinen beiden Söhnen die Stange halten.»
Arnold Andenmatten
Schon als junger Mann lernte er Englisch und Französisch. «Uphill and downhill», das musste man können, als Skilehrer und als Bergführer. Andenmatten ist der älteste noch lebende Olympiasieger der Schweiz. 1948 gewann er in St. Moritz Gold in der Militärpatrouille (heute Biathlon). Im Jahr darauf kamen der Weltmeistertitel dazu und vier Medaillen als Schweizer Meister in der Staffel. Als Bergführer hatte er am liebsten die Engländer, «die waren nicht verwöhnt». 1951 gründete er in Saas-Fee eine Skischule. Er weiss auch genau noch die Zeit, die er als Sieger der ersten Gletscherabfahrt Allalinhorn–Saas-Fee hatte: «8,07 Minuten. »
Jeannette Perrier
Erst seit acht Monaten lebt die 101-Jährige im Altersheim St-François in Sion. «Das Leben hat sich ganz schön verändert, seit ich Kind war», sagt sie schmunzelnd. Und sie erzählt, dass die Toilette in ihrem Geburtshaus zwischen Fels und Haus gelegen habe. Damals gabs noch mehr Schnee, und die Gletscher seien fast bis ins Tal gekommen. Sie versuche nicht mehr, die Welt zu verstehen. Aber der Winter sei heute einiges angenehmer als früher. «Schon nur wegen der Toiletten.»
Martha Schmid
Lehrerin, Posthalterin und die erste Dorfführerin – kaum jemand ist so verwurzelt in der Oberwalliser Gemeinde Ernen wie Martha Schmid. In der Fernsehsendung «Chumm und lueg» lehrte sie die Schweiz, wie man «Cholera» macht: Teig, Kartoffeln, Äpfel, Käse und Zwiebeln ergeben die typische Walliser Spezialität, die ihren Namen von den Kohlen hat. Bereits als junge Frau lernte sie Skifahren und Schwimmen, später frönte sie dem Langlaufen mit ihrem Mann. Sie freut sich auf den ersten Schnee, denn: «Weihnacht ohne Schnee geht gar nicht.»
Denis Bertholet
Er ist der Pionier des Tiefschneefahrens: Während alle anderen Skilehrer mit ihren Schülern auf der Piste waren, führte Denis Bertholet die Touristen in steile Hänge und enge Couloirs. Als Beruf hatte er Fotograf gelernt, seine Eltern wollten, dass er was «Richtiges» lernt. Seinen Traum, Bergführer und Skilehrer zu werden, erfüllte er sich später. Die Verbindung beider Berufe führte ihn auf Berge der ganzen Welt und brachte ihm Foto- und Filmpreise ein. Seine letzte Tiefschneeabfahrt machte er an den Hängen der Rosablanche. Als seine Beine das Bergsteigen nicht mehr erlaubten, ist er von Verbier nach Orsières gezogen. Von hier aus betreut er seine Stiftung für eine Schule in Nepal.
Pierre Chapatte
Mit vollem Namen heisst er Arsène Louis Pierre, und geboren wurde er im Jura. Von Berufes wegen kam er ins Wallis – und ist geblieben. Sein Arbeitsplatz war der Flugplatz Sion, wo er als Mechaniker arbeitete. «Ach, das Wallis! Die Menschen sind herzlich, das Wetter schön, die Landschaft atemberaubend. Und dann noch der Fendant ...!» Noch heute dankt der Aktivdienstler Gott, dass die Schweiz vom Krieg verschont geblieben ist. Und er bedankt sich täglich für jeden Tag, den er erleben darf. Er sei nicht pressiert «abzutreten», viel lieber erzählt er von seinen ersten Skis und den schönen Tagen auf der Langlaufloipe.
Otto Burgener
Die Leder-Bergschuhe, die er als Schuhmacher anfertigte, sind legendär: In dritter Generation betrieb Otto Burgener das gleichnamige Schuhgeschäft in Zermatt. Seine grosse Leidenschaft ist aber seit Kindesbeinen an die Musik: Beim bekannten Akkordeonspieler Bobby Zaugg lernte er das Handorgelspiel, «im Winter spielte er immer auf der Riffelalp und ich stieg zu Fuss rauf und fuhr mit den Ski wieder runter». Über 350 Stücke hat er komponiert, als Bläser und Dirigent geamtet. Über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde er mit seinem Glockenspiel.
Julia Michelet
Mit dem Schlitten ist sie winters jeweils von ihrem Wohnort Basse-Nendaz zu ihrem Arbeitsort in den Ortsteil Aproz hinuntergeglitten. Bis sie als eine der ersten Frauen Auto fahren lernte. Ihr letztes Auto war übrigens ein BMW, der jetzt noch in der Garage steht. Sie hat jahrzehntelang den Laden in Aproz geführt, heute lebt sie im Altersheim in Basse- Nendaz. Den Winter heute findet sie schöner als früher: «Heute ist überall geheizt.» Als Julia Michelet vier war, starb ihre Mutter, ihr Ehemann ist 1965 verstorben. «Es war nicht immer einfach, aber ich hatte ein schönes Leben und möchte kein anderes.»