Die Heimat gefunden
Er ist Franzose, hat aber fast die Hälfte seines Lebens in Crans-Montana verbracht. Topkoch Pierre Crepaud liebt das Wallis und zelebriert es auf dem Teller.
Pierre Crepaud kann nicht still sitzen. Er begrüsst einen Gast auf der Terrasse, setzt sich kurz, rennt wieder davon, weil er ein Telefongespräch führen muss, und dann findet man ihn an der Weinbar des Restaurants Mont Blanc, wo er zusammen mit seinem Patissier Pierre-Alain Rouchon mit dem Handy ein Dessert fotografiert. «Heute muss man einfach auf Instagram präsent sein», erklärt er. Mit ein paar Clicks stellt er das Dessert, bestehend aus Schokolade-Eis-Pilzen drapiert um einen Schokobaumstamm, mit dem Titel «Herbstspaziergang» auf die Bilderplattform.
17 Punkte im Gault&Millau, seit 2015 ein Michelin-Stern – Crepaud hat sich an die Spitze gekocht. Aus purer Leidenschaft, Freude und der Fähigkeit, all seine Talente und sein Wissen mit immer neuen Erfahrungen zu verbinden. Seit 2009 leitet er die Küche im Fünf-Sterne-Hotel und Spa Le Crans in Crans-Montana. Ausserhalb des Dorfes am Hang gelegen, kann es von der Skipiste direkt angefahren werden. Ruhig ist es hier oben, friedlich, und die Sicht reicht nicht nur auf alle Viertausender des Wallis, sondern auch bis zum Montblanc und über das ganze Rhonetal. «Mont Blanc» heisst denn auch das Restaurant, das in einem Halbrund mit grosser Fensterfront die Aussicht ins Konzept miteinbezieht. Crepaud lässt auch auf seiner Speisekarte andere Disziplinen als Kulinarik einfliessen. So hat er immer einen erklärenden Text, um der aktuellen Karte einen Rahmen zu geben. Die Gerichte selber heissen beispielsweise «Ausserhalb gewohnter Pfade» oder «Wenn der Ozean ins Wallis kommt».
Zwischen Meer und Land ist die Basis von Pierre Crepauds Küche. Aus Valence (F) stammend, hat er seine Lehr-und Wanderjahre vor allem in Südfrankreich absolviert mit einem Abstecher in die französischen Alpen. Dann kam das erste Engagement in Crans-Montana. Es sollte entscheidend sein. Denn Pierre Crepaud will hier nicht mehr weg: «Ich habe meine Frau hier kennengelernt, wir haben uns ein Haus gebaut, unsere Kinder gehen hier zur Schule. Von den 45 Jahren, die ich nun schon lebe, habe ich 20 hier verbracht, und ich gedenke nicht, je wieder wegzugehen. Das ist meine Heimat.»
Hier hat er auch Freunde gefunden, die wie er tief in der Region verankert sind und das Wallis auch in ihren Berufen leben. Winzer Ismaël Bonvin hat er über seine zweite Leidenschaft, den Sport, kennengelernt: Gemeinsam machen sie Skitouren, besteigen Berge und rennen über Stock und Stein. Für Pierre Crepaud sind die täglichen Läufe zwischen Mittags- und Abendservice schon fast überlebenswichtig: «Jeder muss etwas haben, um abschalten zu können. Für mich ist das der Sport. Bei meinen täglichen Läufen durch die Region denke ich nicht an meinen Beruf – werde aber wohl gerade deshalb immer wieder inspiriert.Ich entdecke hier ein Kraut, da eine Blume, die wir dann in unsere Menüs einbauen.»
Seine Farbe ist Grün – deshalb hat er sich gleich zu Beginn als Küchenchef grüne Kittel machen lassen und trägt in der Küche nur grüne Turnschuhe. Und deshalb ist auf jedem Teller immer etwas Grünes, fast immer gleich ums Haus geerntet und entweder als geschmackliche Dekoration eingesetzt oder zu einem Jus oder einer Essenz verarbeitet. Das Wallis mit seinem reichen Schatz an ursprünglichen Produkten und Kulturen weckt in ihm immer wieder den Erfindergeist. Genau das verbindet ihn auch mit Winzer Bonvin, der die Kellerei Tambourin in Corin führt. «Er gibt sich nie mit dem Bestehenden zufrieden und agiert sehr dynamisch», erklärt Crepaud und probiert mit seinem Freund den jungen Wein. Lokale Gewächse werden im «Le Crans» grossgeschrieben. «Wir empfehlen immer Walliser Weine», sagt Sommelière Sara Chaves-Guimaraes.
Auch im Offenausschank: Je 16 Rotund Weissweine werden im Glas ausgeschenkt – eine der grössten Auswahlen im ganzen Kanton. Auch sonst legt Chef Crepaud Wert auf Lieferanten aus Crans-Montana und Umgebung. Das Fleisch beispielsweise kauft er hauptsächlich in der Dorfmetzgerei bei Serge Mudry ein und geht auch gerne mal selber vorbei. Ist Crepaud ein anspruchsvoller Kunde? Mudry zögert kurz und meint dann: «Nur wählerische Kunden spornen die Lieferanten zu besten Leistungen an.» Um dann stolz auf das Entrecôte zu zeigen, das bereits einen Monat am Knochen gereift ist. Der Chefkoch klopft ihm auf die Schulter und erwähnt einen weiteren Vorteil, wenn man sich beim Gewerbe vor Ort eindeckt: «Serge liefert immer. Auch sonntags oder abends, wenn wir ein Problem haben.» Im Restaurant Mont Blanc wird mehrmals pro Woche die Karte gewechselt. «Wir haben viele Kunden, die zwei bis dreimal in der Woche kommen», begründet der Chef.
Ein Punktejäger sei er nicht: «Mein Ziel ist, die 17 Punkte und den einen Stern seriös und innovativ zu verteidigen. Konstante Küche auf hohem Niveau ist eine Herausforderung.» Neue Kreationen anzubieten mache ihm und seinem Team grosse Freude. «Unsere Gäste müssen zufrieden sein und von unseren Gerichten überrascht werden.» Als Boss sei er «cool», meint sein Sous-Chef Yannick Crepaux, der bereits seit 15 Jahren an seiner Seite kocht. «Länger, als wir beide verheiratet sind.»
Und was machen die beiden Kochkünstler nun mit der Riesenzucchetti, die ihnen ein Bauer heute morgen vorbeigebracht hat? Ein Teil davon wird sicher ins aktuelle Mittagsmenü eingehen, dass im Restaurant seit zehn Jahren 55 Franken kostet, 55 Minuten dauert und fünf Gänge umfasst. «Ich liebe es, auf überraschende Lieferungen von meinen Lieferanten zu reagieren», meint Crepaud.
Bei allem Erfindergeist und aller Lust auf Neues ist Crepaud konstant in einigen Dingen: So ist das sanft mit nur 63 Grad gekochte Bio-Ei auf der Vorspeisenkarte mit «Zeitlos» betitelt – «unsere Kunden lieben es». Auch die kulinarischen Rätsel erfreuen sich grosser Beliebtheit: Ziel ist, die Geschmackspapillen anzuregen und raten zu lassen, welche Zutaten verarbeitet wurden. Gleich bleiben wird auch, dass immer ein Gourmet-Kindermenü angeboten und am Ende der Mahlzeit Zuckerwatte verteilt wird. «Meine Kinder haben mich darauf gebracht. Jetzt haben wir eine Profimaschine in der Küche», so der Chef. Sind Kinder unter den Gästen, dürfen sie sich die Zuckerwatte gleich selber machen. In der Zwischenzeit kochen seine Kinder Tom, 10, und Nora, 14, ab und an auch für ihn. Nora backt vor allem gerne. Hat sie die Rezepte und das Savoir-faire vom Vater? «Nein. Von Videos auf Youtube.» Pierre Crepaud trägt es mit Fassung. Und postet das nächste Bild auf Instagram.
Text : Monique Ryser Fotos : Sedrik Nemeth
Publiziert: August 2019
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