Das Wallis in der Stube
Eine Belgierin interpretiert historische Walliser Möbel neu. Jetzt gibts eine ganze Serie – von der Wiege bis zur Bahre.
Das Problem war knifflig: Nach der Renovation des 1592 erbauten Belwalder-Gitsch Hüs in Grengiols musste passendes Mobiliar gefunden werden. Schliesslich ist es seit 2013 als Denkmal von kantonaler Bedeutung klassifiziert. Die Architekten Leentje Walliser Garrels und ihr Mann Damian Walliser hatten das Haus so weit wie möglich im Originalzustand belassen. So auch die ausgetretenen, aber immer noch intakten Plankenböden aus Lärchenholz. Nur: Eine flache Ebene ist dieser Boden nicht, und jeder vierbeinige Stuhl schwankt hier gefährlich hin und her. Also musste ein dreibeiniger Stuhl her, der auch auf unebenen Böden stabil bleibt. Nur sollte es nicht einfach irgendein Stuhl sein. Das Architekten- Ehepaar besorgte sich Bücher und Dokumente von regionalen Möbeln aus früheren Jahrhunderten. «Ich war fasziniert von der Vielfalt und Gestaltung der traditionellen Möbel aus dem Wallis», erinnert sich Leentje Walliser.
Für das denkmalgeschützte Haus entwarf sie nach traditionellen Vorgaben dreibeinige Stabellen und ein Bett. Das gefiel Schreinermeister Schosi Rotzer der Schreinerei r-team in Gampel. Und er hatte die Idee, daraus eine ganze Walliser Möbellinie zu machen. «Ich wollte nicht nur Form und Funktionalität von früher aufnehmen, sondern auch der Handwerkskunst unserer Ahnen die Ehre erweisen », so Schosi Rotzer.
Ein Beispiel für frühere Funktionalität ist das typische Walliser Bett mit «Gütschi», also einem ausziehbaren Unterbett. Die Menschen wohnten beengt, so war es praktisch, wenn am Abend ein weiteres Bett für die Kinder einfach herausgezogen werden konnte. In einer schmaleren Version steht das Bett im Haus von Leentje und Damian Walliser in Brig. Denn: «In der modernen Interpretation ist es auch ein Sofa», erklärt die Architektin. Die aus unbehandeltem Lärchenholz gebaute Kollektion umfasst auch eine Truhe mit Schubladen, ein Tabouret und Schaukelstühle. Nimmt man zwei dieser Schaukelstühle und steckt sie mit ein paar Handgriffen zusammen, entsteht eine Wiege. «Heute braucht man nur noch für kurze Zeit eine Wiege, also ist es sinnvoll, wenn danach die zwei Schaukelstühle weiter verwendet werden können», erklärt die Belgierin die Idee dahinter. Und damit die Möbel einen von Geburt bis zum Tod begleiten können, gehört auch ein schlichter Sarg zur Kollektion. «Von der Wiege bis zur Bahre» ist denn auch der von Schosi Rotzer geprägte Slogan der Walliser Möbel. «Es geht uns darum, wertige Möbel zu schaffen, die einen ein Leben lang – und darüber hinaus – begleiten», so die Philosophie dahinter.
Die Möbellinie wird in Rotzers moderner Schreinerei r-team gefertigt. Dabei werden Nägel und Schrauben möglichst gemieden, Beschläge aus Holz hergestellt, auch wenn das viel Tüftelei erfordert. Mit Carlo Zengaffinen hat die Möbeldesignerin einen Verbündeten gefunden: Mit seiner CNC-Maschine (Computer- unterstützte Werkzeugmaschine) verbindet auch er neue Technik mit alter Handwerkskunst. Und weil bei dieser Kollektion alles stimmt, kommen die Stoffe für Kissen und Matratzen aus der Leinenweberei Fondation Marie Métrailler im Val d’Hérens und werden in der Ecole de Couture in Siders kunstvoll verarbeitet. 100 Prozent Walliser eben!
Text : Monique Ryser Fotos : Kurt Reichenbach
Publiziert : März 2019
Guter Geschmack
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