Der Rekord-Halter

Die Patrouille des Glaciers ist das härteste Skitourenrennen der Welt.

Florent Troillet hält zusammen mit zwei Kollegen den Streckenrekord. Einer chinesischen Patrouille gab er sein Wissen weiter. Die Patrouille des Glaciers, wie der Walliser Wettlauf genannt wird, ist legendär und knochenhart. Es gilt, die Strecke von Zermatt via Arolla bis nach Verbier auf Tourenski zu bewältigen. Gestartet wird in Dreierpatrouillen, so ist es vorgeschrieben. Über 50 Kilometer Weg, auf und ab über insgesamt 4000 Höhenmeter. Nur die Zähsten und Fittesten halten durch.


Florent Troillet ist einer der ganz Grossen dieses legendären Rennens, das von der Schweizer Armee 1943 erstmals durchgeführt wurde. Zur Erprobung und Steigerung der Einsatzfähigkeit, wie damals erklärt wurde. Lange Zeit nahmen nur Militärpatrouillen teil, doch längst ist das Hochgebirgsrennen zum ultimativen Kräfte- und Durchhaltetest geworden. Florent Troillet wuchs in Lourtier im Val de Bagnes auf, wo er auch heute noch lebt. Als kleiner Junge schon beobachtete er die einmal im Jahr einfallenden Sportler, die diese alle zwei Jahre stattfindende Monstertour absolvierten. «Schon damals dachte ich: Das will ich auch einmal, diese Tour will ich einmal gewinnen.»
Florent Troillet ist ein Mann der Berge: schweigsam, konzentriert, fokussiert. Wenn er von seinen Siegen spricht, vom Rekord, den er zusammen mit seinen beiden Kollegen Martin Anthamatten und Yannick Ecoeur 2010 aufgestellt hat, dann tönt das wie eine x-beliebige Information. 5 Stunden, 52 Minuten und 20 Sekunden hatten die drei 2010 für die Strecke Zermatt–Verbier gebraucht – das waren 24 Minuten weniger als die vorherigen Rekordinhaber. «Wenn man ein Ziel vor Augen hat, dann schafft man es auch », erklärt Troillet. Sein erstes Ziel war, die Strecke überhaupt zu schaffen, sein weiteres, den Streckenrekord zu brechen. So einfach ist das – wenn man Florent Troillet ist.

Klar, dass sein Fachwissen gefragt ist. Nachdem sich eine chinesische Patrouille für das Rennen 2016 angemeldet hatte, wurde Troillet angefragt, die Athleten aus China zu trainieren. Ja, das habe er gerne gemacht, erzählt er. Interessant sei es gewesen und am Schluss auch richtig lustig und fröhlich. Die Chinesen waren Sportler und konnten auch etwas Ski fahren. «Auf der Piste», so Troillet lachend. Ihr Trainingszustand sei gut gewesen, doch vom Hochgebirge hätten sie nicht viel Ahnung gehabt. Zuerst war immer ein Übersetzer vor Ort, da es auch grosse sprachliche Barrieren gegeben habe. «Gegen Schluss schafften wir es aber, uns ziemlich gut zu verständigen», so Troillet. Der Hochgebirgsspezialist war beeindruckt von den zwei Kameraden: «Die hatten sich einfach in den Kopf gesetzt, dass sie diese Patrouille des Glaciers schaffen. Und sie haben alles getan, um dieses Ziel zu erreichen. Für mich war es wirklich schön und sehr befriedigend, diesen Weg mit ihnen zu gehen.» War zuerst geplant, dass eine chinesische Dreierpatrouille allein in den Wettkampf steigt, waren schliesslich nur Kang Hua und Xin Detao vor Ort, so dass Troillet kurzerhand einsprang und mit ihnen die Patrouille absolvierte.

Zermatt, Verbier, Arolla, PDG, Valais, Wallis, Schnee, Natur

Nicht nur die chinesische Patrouille, sondern auch andere Neulinge der Patrouille des Glaciers holen sich Trainingseinheiten und Gebirgskenntnisse. Die meisten in Trainingscamps der Armee. Drei Tage Unterricht am Berg, in denen unter anderem Alpintechnik, angeseiltes Skifahren, Umgang mit dem Lawinenverschütteten-Suchgerät und vieles mehr geübt wird. Wer sich nicht sicher ist, den Steiss der Originalpatrouille zu schaffen, kann auch die Kurzvariante von Arolla nach Verbier unter die Ski nehmen. Aber Obacht: Auch das sind immer noch fünfzig Leistungskilometer! Für die anderen ist Arolla, ein Bergdorf im südlichsten Wallis, die Zwischenetappe ungefähr in der Mitte der Tour. Die Chinesen Kang Hua und Xin Detao wollten die halbe Strecke ab Arolla absolvieren. Als sie einsteigen, sind die anderen bereits einige Stunden unterwegs. Der Start in Zermatt erfolgt jeweils zwischen 22 und 3 Uhr morgens. Zu Fuss und in Turnschuhen rennen sie los, Ski und Skischuhe müssen am Rucksack befestigt werden. So laufen die Patrouilleure über mehr als sieben Kilometer und 650 Höhenmeter wie an einem Berglauf, erst dann werden die Schuhe gewechselt und die Ski angeschnallt. Weiter geht es aufwärts bis zum Rand des Tiefmattgletschers, wo sich die Patrouillen anseilen müssen. Mit der Tête Blanche wird mit 3650 Metern der höchste Punkt der Route erreicht. Hier ist es kalt, und der Wind kann die Temperatur bis auf Minus 20 Grad hinunterdrücken. Nach Erreichen des Mont-Miné-Gletschers folgt eine Abfahrt von rund 400 Metern – nicht ganz einfach im Neuschnee, angeseilt und im Wettbewerb mit allen anderen Patrouillen. Insgesamt ist das Feld auf 4200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschränkt, das ergibt 1400 Patrouillen im Maximum. Das sind viel, aber trotzdem müssen immer wieder interessierte Patrouillen abgewiesen werden. Noch folgt ein weiterer Aufstieg auf den Bertolpass, danach erreicht man nach einer Abfahrt den Halt in Arolla. Hier stiegen Troillet, Kang und Xin mit der Nummer 1281 ins Rennen. Gleich ging es bergauf zum Col de Riedmatten, danach entlang des Stausees der Grande Dixence, ein steiler Aufstieg zu Fuss entlang dem Couloir Rosablanche. Nach einer weiteren Passage mit Fellen an den Ski dann die Schlussabfahrt hinunter nach Verbier – wo Tausende die verrückten Patrouilleure frenetisch empfangen. «Es ist ein ungeheuer schönes Gefühl, in Verbier einzulaufen», erinnert sich Troillet. Das sei auch für seine Kameraden so gewesen, der Rang spiele da keine Rolle mehr. Die Zeit der Patrouille 1281 betrug 5 Stunden, 57 Minuten und 44 Sekunden. Das ist länger, als Troillet bei seinem Rekord für die ganze Strecke brauchte – aber für zwei Männer, die ohne Bergerfahrung gestartet sind, eine beachtliche Leistung.

Troillet selber wird nicht mehr aktiv an der Patrouille des Glaciers teilnehmen. Auch nicht mehr an den Meisterschaften des Skialpinismus, wo er zur Nationalmannschaft gehörte. Er liebt seine Arbeit als Grenzwächter und setzt seine Prioritäten anders: mehr Zeit mit seiner Frau Florence, der zweijährigen Tochter Noëlle und dem einjährigen Louis. Ausser vielleicht, es kommt wieder eine chinesische Patrouille – Kang und Xin wollen jedenfalls 2018 wiederkommen und «einen Rang in den ersten acht erreichen».

Interview: Monique Ryser Fotos : David Carlier

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