Das sind die Strickprofis

Eine Maschine besteht aus rund 39 000 Einzelteilen, Wallis, Schweiz

Vor Kurzem etwas Gestricktes gekauft? Gut möglich, dass es auf einer Maschine von Steiger aus Vionnaz entstanden ist.

Man kann es sich ganz leicht merken: Jeder Stoff, der elas­tisch ist – also auch die Skinny Jeans oder die Sportjacke –, ist gestrickt und nicht gewebt. Natürlich werden auch die Wollpullover, die kuschligen Sofadecken und die Socken aus feins­tem Garn gestrickt. Im Gegensatz dazu ist es bei Stoffen aber eben nicht so of­fensichtlich, sind sie doch so fein, dass man den Unterschied fast nicht mehr sieht. Und was man auch nicht sieht, ist, wer denn da was strickt. Oder wussten Sie, dass im Wallis einer der renommier­testen Strickmaschinenhersteller behei­matet ist?

In Vionnaz, in der Nähe von Monthey im Unterwallis, werden seit 1963 in Fabrikhallen Strickmaschinen hergestellt. «Die Gemeinde hatte dem Gründer der Firma, die in Frankreich be­heimatet war und vergrössern wollte, ein gutes Angebot gemacht. Ziel war, Arbeitsplätze ins Dorf zu holen», erzählt CEO Pierre-Yves Bonvin.

Pierre-Yves Bonvin führt die Firma seit 2006, Wallis, Schweiz

Die Spezialisten der Firma waren ihrer Zeit voraus: 1979 hat Steiger Participations SA die erste elektronische Strickmaschine weltweit erfunden, die nomen est omen Electra. 1999 folgte eine weitere weltweite Neuerung, die Vesta-Multi-Maschine mit motorisiertem Fadenführer. Nur ein Jahr darauf gab es ein Patent auf die revolutionäre Schie­bernadel, und 2015 lieferte Steiger die erste Strickmaschine für Kohlefaserge­webe und 3-D-Strick.

Darunter können sich Laien nun nicht viel vorstellen. Aber darunter, dass grosse Designer wie bei­spielsweise Max Mara, Dior oder Her­mès ihre wertvollen Stoffe auf Steiger-Maschinen stricken lassen. «Haute Cou­ture macht etwa 25 Prozent der Kun-den aus», so Bonvin. Obwohl diese Ge­webe Prestige bedeuten und alle sofort ansprechen, gibt es noch wichtigeren Strick: denjenigen, der in der Medizin ge­braucht wird. Spezialisten sind die Ma­schinenbauer in Vionnaz für Ganzkörper­anzüge für Verbrennungsopfer.

Zukunftsweisend ist ebenfalls das Ver­stricken von Kohlefasergewebe. So kön­nen etwa gut sitzende Helme hergestellt werden, deren Strickform dann mit ei­nem Kunststoff gehärtet wird. Auch mit Flugzeugherstellern ist Steiger im Ge­spräch: Die Nase des Flugzeugs würde mit einer ausgehärteten Strickform sehr viel leichter werden, wäre aber gleich stabil. Bonvin: «Flugzeugbauer sind um jedes Kilo weniger froh. Wir sind nun da­ran, einen Prototyp zu testen.»

Bruno Neves über¬prüft bei einer Maschine, ob die Faden-führung korrekt läuft, Wallis, Schweiz

Erfahrungen mit Strick am Bau hat die Firma dank der ETH-Absolventin Mariana Popescu ebenfalls. Während ihrer Doktorarbeit entwickelte die Architek­tin Algorithmen, die einen architektonischen Entwurf automatisch in eine textile Form übersetzen. Industriemaschinen können eine solche Form in wenigen Stunden stricken, zudem ist die Form leicht und flexibel. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen hat sie herausgefunden, wie die gestrickte Form mithilfe von Stahlseilen aufgespannt werden kann, damit die Form an Ort und Stelle bleibt, während Beton darübergegossen wird. Hilfe dazu erhielt sie von Bonvin und seinen Leuten: «Sie kam zu uns, lernte Stricken, und wir haben sie mit Know-how und Maschinen unterstützt. Das war sehr spannend, für sie und für uns», erinnert sich Bonvin.

Seit 2010 ist Steiger Participations SA im Besitz der chinesischen Ningbo-Cixing-Gruppe. Bereits vorher haben die Firmen im Vertrieb zusammengearbeitet, nun beliefert Vionnaz den europäischen Markt und Ningbo Cixing den asiatischen. «Wir mussten uns etwas aneinander gewöhnen», meint Bonvin lachend. Der Verkauf habe vor allem in seiner Fabrik mit den rund 50 Angestellten die Angst ausgelöst, dass die Chinesen lediglich das Know-how wollten und den Standort schliessen würden. «Ich sagte also den Besitzern, dass es am besten wäre, wir würden unsere Fabrikationsgebäude, in denen wir zur Miete waren, kaufen und so ein Bekenntnis ablegen.

Das haben wir dann getan.» Heute profitiere man gegenseitig voneinander, er reise normalerweise viermal pro Jahr nach China, um sich mit dem Verwaltungsrat auszutauschen. Das laufe nicht genau so ab wie in der Schweiz, sagt er schmunzelnd. «Hier muss man mit einer klaren Präsentation kommen und sich kurzfassen. In China sind die persönlichen Gespräche wichtiger, es gelten nicht nur Zahlen.»

Dieses Jahr war der Vionnaz-Chef noch nicht in China. Die Corona-Krise hat nicht nur den Reiseverkehr zusammenbrechen lassen, auch die Bestellungen sind von einem Tag auf den anderen storniert worden. «Wir sind auf Kurzarbeit, da wir im Moment keine Maschine ausliefern können.» Die Stimmung sei im Keller gewesen, gibt Bonvin zu. Also startete er ein Projekt, das es in der Strickmaschinenfabrik noch nie gegeben hat. Sie stellten für sich eigene Maschinen zusammen, Bonvin besorgte das nötige Material und stieg mit seinen Leuten in die Maskenproduktion ein. «Das ist überhaupt nicht unser Spezialgebiet, wir sind Maschinenbauer. Unsere in 3-D gestrickten Masken sind zertifiziert. Wir haben getüftelt, und es gab einen richtigen Motivationsschub in der Firma. Jetzt sind wir stolze Maskenproduzenten.»

CEO Pierre-Yves Bonvin zeigt ein Strickmuster, Wallis, Schweiz

Text: Monique Ryser Fotos: Sedrik Nemeth

Publiziert: Februar 2021

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