Seine neue Passion

Stéphane Lambiel, Champéry, Wallis

Er war auf der Suche nach einer neuen Aufgabe und gründete vor vier Jahren im Walliser Bergdorf Champéry eine Eiskunstlaufschule.

In der Skating School of Switzerland trainiert der einstige Eiskunstlaufstar Stéphane Lambiel Talente aus aller Welt. Der Weltmeister und Olympia-Silbermedaillengewinner fand hier zu seiner Berufung und zurück zu den Emotionen auf dem Eis.

Wenn man von Beruf Eiskunstläufer ist, sich für Erfolge und Titel trimmt, dann gibt einem der Körper nur begrenzt Zeit für die Karriere. Etwa einen Drittel der durchschnittlichen Lebensdauer. Dann steht man da, gewinnt Titel und Medaillen und merkt mit 24 Jahren: Merde. Jetzt habe ich die stärksten Emotionen in meinem Leben bereits gespürt. Was dann? Nach seinem definitiven Rücktritt 2010 sah sich der Walliser Eiskunstlaufstar Stéphane Lambiel mit dieser Erkenntnis konfrontiert. Und es dauerte eine «schmerzhaft lange Zeit», bis eine neue Aufgabe die grosse Leere nach der grossen Karriere füllen konnte. Draussen scheint die Sonne. Die Chalets, die das Sportzentrum Palladium de Champéry umgeben, bräunen ihre Holzverkleidung in den Strahlen. Drinnen in der Eishalle steht Stéphane Lambiel Kaugummi kauend an der Bande, beobachtet, wie die Eiskunstläufer Pirouetten drehen, umfallen und aufstehen. Er klatscht in die Hände, spricht mal Französisch, mal Englisch, schneidet Grimassen, schüttelt den Kopf. Es ist wie ein absurdes Marionettenspiel: Lambiel wiedergibt die Emotionen, welche die Läufer auf dem Eis nach gelungenem oder misslungenem Versuch stoisch mit dem Schlittschuh von sich stemmen. Er wird später sagen: «Am liebsten würde ich für sie aufs Eis. Aber mittlerweile weiss ich, dass sie es selber schaffen müssen.»

Stéphane Lambiel, Champéry, Wallis

In Champéry fand Lambiels Suche vor vier Jahren ein Ende. In der hintersten Ecke des Val d’Illiez gründete der zweifache Weltmeister und Olympia-Silber-medaillengewinner aus Saxon die Skating School of Switzerland. Hier hat er mittlerweile ein Chalet und trainiert sechsmal pro Woche zehn nationale und internationale Nachwuchstalente wie die Schweizer Geschwister Noah und Noémie Bodenstein oder den Letten Deniss Vasiljevs. In Champéry sind auch immer wieder international erfolgreiche Spitzenläufer anzutreffen, die mit Lambiel an Choreografie oder Stil feilen.

Trainer zu werden, hat Lambiel früher abgeschreckt: «Ich habe gesehen, wie viel mein ehemaliger Coach Peter Grütter gearbeitet hat. Jeden Tag. Mit den Schülern ist es wie mit Kindern. Man muss immer da sein.» Lambiel läuft nach seiner aktiven Karriere weiterhin Shows, erarbeitet Choreografien für andere Läufer, hält Seminare ab. Er merkt, dass die Menschen ihm zuhören. «Ich hätte nie gedacht, dass ich einen so grossen Effekt auf jemanden haben könnte.» Gleichzeitig nagte etwas an seinem Sportlerherz. Seitdem er und Eiskunstläuferin Sarah Meier sich aus dem Spitzensport zurückgezogen haben, laufen keine Schweizer mehr vorne mit. «Der Schweizer Eislaufverband hätte mehr tun können, um den Nachwuchs zu unterstützen.» Nach den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 – ohne Schweizer im Eiskunstlauf – wusste Lambiel, wenn nicht jetzt, dann nie. Die Idee, die Schule in Champéry zu eröffnen, kam auf. Der Ort war perfekt. Er ist ruhig, abgelegen, und die Eishalle hatte noch viel Eiszeit zu vergeben.

Stéphane Lambiel, Champéry, Wallis

Mittlerweile steht Lambiel nicht mehr an der Bande, sondern auf dem Feld und schiebt langsam eine Schülerin über das Eis. Er sei kein strenger Coach, aber ein präziser. «Wenn ich etwas Bestimmtes sehen will, kann ich sehr pingelig sein.» Wie sein Trainer früher gibt auch Lambiel seinen Schützlingen vor jedem Wettkampf anspornende Worte mit aufs Eis. «Peter triggerte mich immer mit den Worten ‹Lambiel, Blut und Wallis›. Er sagte oft: ‹Geh raus und zeig ihnen, wie ein Walliser läuft›.»

Stéphane Lambiel, Champéry, Wallis

Lambiel arbeitet praktisch Nonstop, bis im März ist er jedes Wochenende mit Schülern an Wettkämpfen in der ganzen Welt unterwegs. Und auch sich selber muss der 33-Jährige fit halten. Gerade trainierte er zwei Tage für die Eiskunstlaufgala «Art on Ice». Zudem würde er gern nochmals seine Show «Ice Legends» auf die Beine stellen, am liebsten im Wallis, dafür müsse er aber noch eine Halle finden, die gross genug ist. «Für mich ist Eiskunstlauf zum Lifestyle geworden. Wenn ich frei habe, zieht es mich aufs Eis.» Während seiner Karriere war seine Sicht auf den Sport eine andere. «Ich war sehr ehrgeizig. Wollte ständig gewinnen.» Die Beziehung habe sich gewandelt. «Gegen Ende meiner Karriere habe ich erkannt, dass ich auch einfach so Emotionen auf dem Eis erleben kann. Ohne zwingend gewinnen zu müssen.» Die seien heute zwar nicht mehr so komprimiert wie an Olympischen Spielen. «Aber sie sind noch da, nur auf einen längeren Zeitabschnitt verteilt. Dank der Schule und den Schülern.» Für den zweiten Drittel seines Lebens hat Lambiel also vorgesorgt.

 

Text: Manuela Enggist Fotos: David Carlier

Publiziert : November 2018

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