Auf Wolke sieben über Zermatt

In der Täschhütte von Renata Schmid weit oberhalb des Mattertals ist der Gast wohlig aufgehoben. Am Abend gibts oft Steinböcke zu beobachten, sie äsen ganz in der Nähe.

“Güeta Tag”, empfängt Renata Schmid den Gast. Es ist die dritte Saison der 57-Jährigen als Hüttenwartin, sonst lebt die passionierte Berglerin in Ausserberg VS. 1984 bis 1988 schon war sie hier oben, als Gehilfin von Hüttenwart Alfons Lerjen, dem legendären Bergretter. Dann war Renata sieben Jahre verantwortlich für die alte Hörnlihütte des SAC. Während den Wintern arbeitete sie im Service verschiedener Zermatter Bergrestaurants.

Auf ihrer heutigen Hütte gibt es, erzählt Renata, immer wieder schöne Wiedersehen mit Gästen und Bergführern, die sie von früher her kennt. Sei es vom Hüttenleben oder von gemeinsamen Expeditionen. “Das ist wie ein Erntedankfest. Der Kontakt mit Menschen aus aller Welt liegt mir sehr”, sagt Schmid bei einer Tasse Milchkafi. Ihre Philosophie: “Hier ist ein Platz, an dem jeder willkommen ist und sich wohlfühlen soll.” Renata hat ein Ohr für ihre Gäste, versucht bei jedem nachzufragen: Wie war die Tour? Wohin gehts weiter? Wichtig ist ihr auch, dass die Stimmung gut ist. “Auf der Hütte sind die Menschen anders. Offener, hilfsbereiter dankbarer. Man muss sie nur wahrnehmen.” 

Die 1945 erbaute und 2008 erweiterte Hütte gehört der Zürcher Sektion Uto des Schweizer Alpen-Clubs (SAC). Seit vergangenem Sommer hat es Handyempfang im Esssaal. Der Hauptteil des Stroms kommt aus dem eigenen Kraftwerk unterhalb der Hütte, gespiesen vom Bach, aber auch von neuen Solarpanels an der Südfassade. Mit einer Handvoll Angestellten bewartet Renata die Hütte auf dem Rinderberg. 80 Schlafplätze bietet die Hütte, für Wochenenden im Juli und August empfiehlt sich eine Reservation (www.taeschhuette.ch). Die Sommersaison 2020 sei wegen Corona mit sehr viel Mehraufwand verbunden gewesen, „doch wir haben sie gut gemeistert“. Dieses Jahr dauert sie von Mitte Juni bis Ende September. „Die Hochsaison ist ein Chrampf. Eine Hütte zu führen, ist eine komplexe Sache.“ 

Die Terrasse liegt auf der Südseite. Die Hütte nord stlich von Zermatt wurde 2008 erweitert.
Die Terrasse liegt auf der Südseite. Die Hütte nord stlich von Zermatt wurde 2008 erweitert.

Die Mehrzahl der Gäste sind Bergsteiger, meist Schweizer und Europäer.  Die Asiaten fahren lieber mit der Bahn auf den Gornergrat.  Immeröfter kommen auch Mehrtageswanderer zu Renata Schmid. Viele starten in Randa, nehmen die Hängebrücke (mit 494 Metern die weltweit längste), übernachten in der Europahütte und kommen auf dem Weg über die Pfulwe nach Zermatt bei Renata vorbei.

Als „endschön“ bezeichnet Renata Schmid die Zeit nach 2.30 Uhr – dann, wenn sie die Bergsteiger geweckt hat. „Gut geschlafen, zwäg für d’Tour?“, fragt sie jeweils beim Morgen. „Die Leute holen sich Kraft, sind gespannt, es ist ruhig – diese Stimmung gefällt mir.“  Anschliessend legt sich Renata nochmals hin, ab 6.30 Uhr bereitet sie mit dem Team den Morge für die Wanderer und dann die Terrasse vor. Darauf folgt das Kochen: Mit frischen Kartoffeln wird Rösti gebraten, und auch der Früchtekuchen muss parat sein, wenn ab 12 Uhr die Tagesbesucher zum Mittag kommen. Das Fleisch stammt von den Galloway-Rindern ihres Bruders Stefan, der „Gori Trunk“, eine Pinot-Assemblage, ebenfalls aus Ausserberg. Der Milchkafi wird aus „Bochtja“, grossen Tassen, getrunken. In der Hochsaison bringt alle zehn Tage ein Heli 650 Kilo Material: Getränke, Gemüse, Früchte, Fleisch, Brot, Gasflaschen.

Es ist Abend geworden, die Sonne verschwindet. Die Hüttenwartin tritt auf die Terrasse. „Da“, sagt sie und zeigt auf eine nahe Felswand: Ein Steinbock und zwei Steingeissen sind am Äsen. Ab und zu segelt ein Bartgeier vorbei, sein Revier reicht von Zermatt bis Saas-Fee. Hier oben, sagt die Hüttenwartin und blickt über die Gletscher zum Rimpfischhorn, sei es einfacher und schöner als unten im Tal. „Man ist dem Leben näher“. 

Text: Thomas Kutschero
Fotos: Stefan Walter

Publiziert: August 2021

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