Gut Verwurzelt
Am Herd zaubert er die Natur auf den Teller : Peter Gschwendtner vom « Castle » im Goms ist ein Naturbursche durch und durch.
Wenn Peter Gschwendtner von Natur redet, dann weiss er, wovon er spricht. Davon hats hier in seiner Heimat viel, eigentlich nur. Ein einziger Blick vom Hotel Castle in Blitzingen auf 1350 Meter über das Goms, dieses weite, grüne Hochtal, auf die umliegenden himmelhohen Gipfel genügt: Natur, wohin man schaut. Ein einzelner Blick genügt aber nicht, sich an dieser Aussicht sattzusehen. Grün-blauer Balsam für Städteraugen.
Ein idealer Flecken also für den Naturmenschen Gschwendtner? Für den ausgebildeten Skilehrer, Bergführer und Everest-Ersteiger ganz sicher. Doch es wohnen zwei Seelen in seiner Brust: Für den Spitzenkoch machts die idyllische Lage nicht immer einfach. Zwar sitzt der Chef für die Rohstoffbeschaffung hier im Paradies: Lamm aus dem Lötschental, Rind aus dem Fieschertal, Forellen aus Raron, Gemüse, Pilze, Beeren aus dem Goms, Kräuter aus seinem Garten. Aus dem Füllhorn guter, regionaler Produkte schöpft der «Castle»-Koch nicht als Einziger. Einzigartig aber sind der Aufwand und die Hingabe, mit denen er diese zubereitet. Der einstige Autodidakt hats an den Töpfen zum Meister gebracht. Der GaultMillau lobt die «raffinierten Genüsse» und hebt Gschwendtner mit 16 Punkten in die kulinarische Oberliga. In Zürich, Bern oder Basel dürfte er dank seiner Kreativität und Kochkunst mit stets gut gebuchter Beiz rechnen. Im Goms aber, weit abseits der Pfade, auf denen die urbane Gourmet-Gemeinde gerne lustwandelt, ist Gschwendtners Art zu kochen ein Willensakt. «Das stimmt», relativiert der Mittfünfziger bescheiden, «aber erstens kann ich gar nicht anders. Was immer ich mache, versuche ich gut zu machen. So gut wie möglich. Ob am Herd oder am Berg. Und zweitens möchte ich nirgendwo anders arbeiten oder leben. Ich schöpfe meine Kraft aus der Natur. Aus meiner Heimat.»
Die hat der aus dem tirolischen Going am Wilden Kaiser stammende gelernte Schreiner, Skilehrer und Bergführer schon vor langer Zeit im Goms gefunden. Zwei Naturschönheiten haben ihn hier Wurzeln schlagen lassen: das Tal und eine Einheimische. Die Brigitte, wie Gschwendtner in akzentfreiem Gommer Dialekt erzählt. Mit der schönen Brigitte hat er längst erwachsene Kinder, das Paar ist stolze Grosseltern, seit 22 Jahren führt es gemeinsam das «Castle». Aus dem einst maroden Appartement-Hotel, das in fünf Jahren drei Konkurse erlebt hat, schufen sie ein Bijou: eine Rundumwohlfühl-Oase für Gäste von nah und fern, ein Dutzend Arbeitsstellen fürs Tal und einen kulinarischen Hotspot für die Region. Und weil die ausgebildete Physiotherapeutin selber kaum Fleisch isst, werden auch Vegetarier im «Castle» glücklich. «Ein vegetarisches Fünfgangmenü auf Topniveau ist je nach Saison eine echte Herausforderung», weiss der Chef.
Herausforderungen aber sind genau Gschwendtners Ding. Die grösste: neben dem Knochenjob als Spitzenkoch seine zweite Passion zu pflegen – die Berge. Auch hier gilt – wenn schon, dann richtig. Er kennt nicht nur die heimischen Berge bestens, er nahm auch an mehreren Expeditionen in Nepal teil und stand bereits auf einigen Achttausendern im Himalaja. Am 16. Mai 2004 sogar auf dem Gipfel der Gipfel, dem Mount Everest. Ein datiertes Foto, gemacht auf 8848 Meter Höhe, hängt in der Lobby des Hotels. Darauf strahlen Gschwendtners gletscherblauen Augen heller als der wolkenlose Himmel dort oben, ganz zuoberst auf der Welt. «Ein bewegender Moment, sicher. Die Herausforderung liegt aber im Raufkommen ebenso wie im Runterkommen», betont er. Und meint damit nicht nur den physischen Abstieg nach einer solchen Grenzerfahrung, sondern vor allem den Wiedereinstieg in den Alltag.
Die Glücksgefühle, die er auf all den Gipfeln empfunden habe, seien aber noch getoppt worden. Letzten November in Nepal, im wirklich abgelegenen Bergdorf Patale im Gebiet Solo Khumbu. Er war in das von den Erdbeben 2015 schwer getroffene Dorf gereist, um eine Schule zu eröffnen. Aus Geldern, die die Gschwendtners selber gesammelt hatten. Das kam so: Peter hatte mit seiner Seilschaft die Erdbeben am eigenen Leib erlebt, beim Aufstieg zum 8163 Meter hohen Manaslu, «als plötzlich der ganze Berg vibrierte» und die Männer mit viel Glück mehreren Lawinen entkamen. Das ganze Ausmass der Beben, der tödlichsten Katastrophe in der Geschichte Nepals mit tausenden Todesopfern und zigtausenden Verletzten, erahnten sie erstmals auf dem Rückweg. So richtig erst zu Hause. Für Peter, dem Nepal und die Nepalesen über die Jahre ans Herz gewachsen sind, war es deshalb eine Selbstverständlichkeit, beim Wiederaufbau mitzuhelfen. Von Brigitte kam die Idee, statt eines Jubelfestes zum 20-Jahr-Jubiläum im «Castle» eine Benefizveranstaltung zu machen. Der Anlass wurde ein durchschlagender Erfolg, auch finanziell. «Wir wollten aber nicht nur Geld zur Verfügung stellen», so Gschwendtner, «sondern in etwas Nachhaltiges investieren.»
Mit Sherpa Mingmar, seinem langjährigen Weggefährten am Berg und Freund, habe er einen integren Mittelsmann vor Ort gehabt. So kam es, dass letzten November 160 Kinder die neue Schule von Patale betreten konnten, die zur Hälfte dank dem Engagement der Gschwendtners steht. Natürlich gibts noch immer viel zu tun. Die Planung, die dieses Hilfsprojekt in Nepal erfordert, hat Gschwendtner fest im Griff: Als Extrembergsteiger und Spitzenkoch ist er geübt in Präzision und Ausdauer. Und die Kraft, auch diesen Job gut zu machen, die holt er sich täglich – im Goms.
Bis zum Start der Sommersaison am 8. Juni im «Castle», wenn sie wieder jeden Tag für ihre Gäste da sind, gönnen sich die Gschwendtners eine Extraportion Natur. Brigitte ziehts südwärts, in die Wärme. Und den Peter ziehts wieder himmelwärts. Auf einen Berg. Einen Achttausender.
Text: Anita Lehmeier Fotos: Sedrik Nemeth
Publiziert : September 2018
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