Die Sterne von Saint-Luc
Das « Bella Tola », die Grande Dame unter den historischen Hotels, hält Rückschau auf 160 Jahre und blickt in die Zukunft.
Zeitsprünge und Sternenreisen sind heute schon möglich. Da muss man nicht auf Elon Musks Privatraketen oder den nächsten Einstein warten. Man kann gleich losreisen, die Abschussrampe ist nicht weit: Sie befindet sich oben im Val d’Anniviers, 1655 Meter und 27 Haarnadelkurven hoch über dem Alltag, in Saint-Luc. Das 340-Seelen-Dorf hat sich komplett den Sternen verschrieben: Von hier startet ein Planeten-Wanderweg. Im Ort verbreiten Infotafeln das Weltwissen übers All. An einer Hausecke grüsst E. T., über allem thront die Sternwarte François- Xavier Bagnoud, ein hochmodernes Institut, das auch Laien-Sternguckern zugänglich ist. Zur Star-City wird Saint-Luc so richtig bei Nacht, wenn die Sonne, die den Flecken an der steilen Bergflanke derart grosszügig verwöhnt, Feierabend macht. Die Dunkelheit öffnet einem erst die Augen. Weitab von Luft- und Lichtverschmutzung offenbart sich hier weit oben ein Sternenhimmel der Wow-Klasse. Ein Firmament wie ein Samttuch, auf dem Zillionen Diamanten um die Wette funkeln. Ein Anblick, der auf die Bucket List muss!
Um die schönsten vier Sterne von Saint- Luc zu sehen, muss man aber nicht himmelwärts gucken. Die prangen gleich bei der Dorfeinfahrt, an der mächtigen Fassade des Grandhotels Bella Tola. Unter diesen vier guten Sternen lädt das Haus zur Zeitreise der Extraklasse. Mit seinen 160 Jahren in den Balken geht der Trip natürlich zuerst nach hinten los. In die guten alten Zeiten der alpinen Kur- und Grandhotels voller Luxus, Plüsch und Lokalkolorit. Im «Bella Tola» erzählt jeder Salon, jedes Zimmer, jeder Winkel mit Originalstücken von dieser schönen, grossen Zeit. Rückwärts ist aber nur eine Richtung, in die man im Historic Hotel schaut. Der viel spannendere Blick geht in die Zukunft. Dass das historische Haus eine solche hat, dafür sorgen allen voran zwei gute, dauerpräsente Hausgeister: Anne-Françoise und Claude Buchs-Favre. Und das tun sie als Besitzer, Masterminds und Gastgeber seit nunmehr 23 Jahren. Zeit genug für das Paar, aus dem Haus ein Schmuckstück zu machen, ihr persönliches Universum zu schaffen. Heute trägt jedes winzige Detail genauso wie das grosse Ganze die Handschrift der Buchs, eines Paares mit Auftreten und Star-Appeal, wie man es so weit weg vom Glanz der Städte nicht erwartet. «Ich hatte mein Herz schon lange vor unserem Einzug hier ans ‹Bella Tola› verloren», erzählt Anne-Françoise Buchs. «Ich kannte das Haus schon als Kind, meine Mutter stammt aus Saint-Luc. Mit zwanzig habe ich dann erstmals hier im Hotel gearbeitet. Schon da war ich schockverliebt.» Die nächste Schockverliebtheit galt dann Claude aus Sion, der dieselbe Hotelfachschule in Lausanne besuchte. Sie beruhte auf Gegenseitigkeit. Nach der Schule gingen beide auf Tour durch die Hotelwelt, erst getrennt, dann zusammen. Sie heirateten 1990 und beschlossen, sesshaft zu werden – und ihre eigenen Chefs im eigenen Hotel. Bei der nächstbesten Gelegenheit. Die ergab sich 1996. Der vierten Generation der Ponts, der Besitzerfamilie des «Bella Tola», waren die Lust und der Schnauf ausgegangen, das einstige Grandhotel stand zum Verkauf. Die Buchs gingen zur Bank, griffen zu, zogen ein, packten an. Tag für Tag, Zimmer für Zimmer, Schritt um Schritt. Die viele Arbeit, die Ideen, das Herzblut, der Touch of Stardust – all das kann sich heute sehen und ablesen lassen.
«Kurz nach unserem Einzug hier beschlich mich manchmal das Gefühl, auf der ‹Titanic› eingecheckt zu haben», erinnert sich Madame der Anfänge. An Eleganz kann es das Bijou von Hotel inzwischen mit dem Luxusliner aufnehmen, nur nicht an Tragik. Im Gegenteil: Das Hotel schwamm bald auf einer Erfolgswelle. Schon 2001 wurde es zum «Historischen Hotel des Jahres» gekürt, das Engagement der Buchs belohnt. «Das machte uns schnell weitherum bekannt, zog neues Publikum an. Da gings richtig los», erzählt die stolze Hausherrin. Heute sind gut drei Dutzend Leute im Haus angestellt, es herrscht Sommer- und Winterbetrieb, siebzig Prozent der Gäste sind Stammgäste. Weil das «Bella Tola» ein Work in progress ist, treffen auch Returners stets auf Neues. Spa. Renovierte Zimmer. Zweithotel. Maiensässe. Boutique. Neue Sessel. Neue Stoffe. Und täglich gibts ein Blumenmeer, Kerzenlichtzauber und Cheminéefeuer; Rituale, die Madame eigenhändig pflegt.
Chefsache sind auch das tägliche Angebot an Ausflügen in die Natur und zur Kultur. Diesen Sommer führt die vielsprachige Frau Buchs Gäste durch Feld und Wald zu Pilzen, Vögeln und Bäumen, zusammen mit Fachleuten (detailliertes Programm auf der Website). Für Hipster gibts Mindfulness- und Anti-Stress-Angebote, jeden Mittwoch finden Hauskonzerte statt. Das Highlight der Woche: die Hausführung zur blauen Stunde durch Madame. Dann fegt sie wie ein Komet durch Gänge, Treppenhäuser, Salons und backstage, weist auf all die Kuriositäten, Antiquitäten und Neuheiten hin, die das «Bella Tola» so einzigartig machen. Eine Sternstunde!
Hinter der eleganten Kulisse, tief unten im Bauch des Hotels, befindet sich das Reich von Goulven Tourmel, dem Chefkoch des Hauses, mit zwei Restaurants, dem rustikalen «Le Tzambron» («kleines Zimmer») mit Walliser Spezialitäten und dem à-la-carte-Restaurant Chez Ida, seit zwei Jahren mit 13 GaultMillau-Punkten ausgezeichnet. Zusammen mit vier Gehilfen sorgt der Bretone für das leibliche Wohl der Gäste. Seine Wanderjahre führten ihn unter anderem ins berühmte «Le Gavroche» in London. «Zwei harte Jahre», erinnert sich Tourmel, «aber eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.» Hier habe er Präzision und das Bestehen auf Top-Qualität der Produkte gelernt. Nach einer grossen Reise durch Australien verschlug es ihn dann ins Val d’Anniviers. Mit den hohen Bergen und den sattgrünen, steilen Hängen das komplette Gegenteil seiner Heimat. «Ich war fasziniert von der Landschaft und bin es nach Jahren immer noch», schwärmt der Chef. «Und was hier im Wallis an her- vorragenden Produkten zu haben ist – ein Paradies für einen Koch!» Ganz besonders angetan ist der Mann vom Meer – was Wunder? – von den Felchen aus Raron. «Ein Geschenk der Natur: Das saubere Wasser aus dem Ökoprojekt Valperca gibt den Felchen ihren unvergleichlichen Geschmack und den feinen Biss.» Sie stehen im «Bella Tola» immer auf der Karte. Er brät die eingemehlten Filetstücke erst in Olivenöl, dann in Butter an und serviert sie in Kombination mit einer Meeresfrüchtesauce, «eine schöne Partnerschaft», findet Tourmel. Finden wir auch.
Ein weiterer Signature Dish des Hauses ist das Rindsfilet, das Tourmel gern in Wacholder räuchert und mit einer Weinsauce serviert. Im Laufe der acht Jahre hat der umtriebige Chef ein Netz an lokalen Produzenten aufgebaut, denen sein Vertrauen gilt und die die Rückverfolgbarkeit der Rohstoffe garantieren. «Ein Rentnerpaar, das aus Leidenschaft Schafe hält, liefert uns Lammfleisch in einmaliger Qualität», erzählt Tourmel. Für das Raclette, einem weiteren festen Programmpunkt im «Bella Tola», kauft Tourmel zweierlei Käse ein, darunter den von der Alp de Roi, um den Gästen die Vielfalt der Walliser Käsespezialitäten aufzuzeigen. «Ich liebe Käse, auch wenn ich ihn spät entdeckt habe. Ein Tag ohne Käse – undenkbar!»
Text : Anita Lehmeier Fotos : Sedrik Nemeth
Publiziert : Oktober 2019
«Yaks sehen und riechen die Welt anders.»
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