Bikerglück im Wunderland
Rollendes Vergnügen vor grandioser Kulisse: Die Walliser Berge bieten das perfekte Terrain. Und das E-Mountainbike öffnet die Tür für ein breites Publikum. Die Radcracks Florian Golay und Steve Morabito zeigen den richtigen Weg.
Saint-Luc im Val d’Anniviers: Hier ist man dem Himmel nahe. Das hochmoderne Observatorium lässt den Blick in ferne Galaxien zu – und auf dem Planetenweg bis hinauf auf 2500 Meter über Meer wandelt man von Himmelskörper zu Himmelskörper. Irdische Glücksgefühle erleben Mountainbiker in dieser alpinen Umgebung. Die Region um das malerische Dörfchen Chandolin, einer der höchsten ganzjährig bewohnten Siedlungen der Schweiz, bietet ihnen das ideale Terrain. Und dank den E-Mountainbikes können Fahrerinnen und Fahrer unterschiedlichsten Formstandes das grandiose Ambiente Rad an Rad geniessen.
«Die E-Moutainbikes öffnen unseren Sport für eine neue Kundschaft. Selbst Leute, die zuvor Jahrzehnte auf keinem Velo mehr gesessen sind, finden sofort wieder den Anschluss», sagt Florian Golay. Der 41-jährige Romand hätte eine elektrische Unterstützung ebenso wenig nötig wie sein 36-jähriger Kollege Steve Morabito. Golay gehörte zu den weltbesten Mountainbikern in der Enduro-Klasse, der Walliser Morabito fährt seit 2006 als Profi Strassenrennen. Gleich in seinem Premierejahr gewann er eine Etappe der Tour de Suisse, 2018 durfte er sich das Trikot des Schweizer Meisters überziehen. Heute nimmt er als Präsident des Walliser Radsportverbands auch politisch eine wichtige Rolle ein. Dass er nun gelegentlich mit einem E-Mountainbike unterwegs ist, erklärt er schmunzelnd: «Das Vorurteil, dass ein E-Bike vor allem für ältere und schwächliche Fahrer gedacht ist, stimmt überhaupt nicht. Ich selber benutze ein solches Velo seit drei Jahren. Damit lassen sich schwierigere und längere Touren auch auf niedrigerer Intensitätsstufe bewältigen.» Gesagt, getan: Auf ihren E-Bikes schlängeln sich die beiden Cracks mit Leichtigkeit schmale Singletrails hoch, um sich dann wieder tollkühn den nächsten Abhang hinunterzustürzen. Golay sagt: «Diese Vielseitigkeit ist typisch für das Wallis. Wir haben Strecken in allen Landschaftstypen und auf sämtlichen Schwierigkeitsstufen.»
Golays häufigstes Trainingsterrain sind die Berge und Hügel um Verbier. Die Region mit allen Facetten der alpinen Schönheiten ist einer der Hotspots in der Schweiz. Die ausgeschilderten Routen gehen vom einfachen Kurs über 11 Kilometer bis zur Grand Tour über 38 Kilometer. «Hier findet jeder den für ihn richtigen Parcours.» Golay ist einer der Vorreiter der neuen Szene. In Martigny führt er zusammen mit Freeski-Pionier Phil Meier den Bikeshop «Cross Road Cycles». Das Geschäft gilt als Mittelpunkt der boomenden Szene. Hier wird geschraubt, montiert und gewerkelt. Und überall sind Insignien der Erfolgskarrieren der beiden Protagonisten zu sehen. Wer sich die Youtube-Filme von Golay anschaut, erhält eine Vorstellung, auf welch schmalem Grat er sich bei seinem Sport oft bewegte: wilde Sprünge, filigrane Steuerkünste, atemberaubende Abfahrten zwischen Himmel und Erde. Er war ein Pionier als E-Enduro-Athlet und gewann dreimal das «Epic Enduro». Und noch immer ist er Teil des Teams Lapierre.
Höchstleistungen sind das, für ihn ist es aber vor allem eine Freude. Seit sich Golay von der Bühne des Spitzensports verabschiedet hat, lässt er es als Familienvater ruhiger angehen: «Die Motorenleistung des E-Mountainbikes ist auf 25 Kilometer pro Stunde limitiert. Das erhöht die Sicherheit.» Seine Lieblingsroute befindet sich am Col de la Forclaz zwischen Martigny und Le Châtelard, sagt er – um sich dann sofort zu korrigieren: «Momentan führt meine bevorzugte Strecke durchs Kinderzimmer.»
Auf der Fahrt vorbei an den wunderschönen Holzhäusern in Chandolin will man ihm diese Aussage nicht wirklich abnehmen. Denn das Wallis zeigt sich von seiner schönsten Seite. Die Sonne scheint von stahlblauem Himmel, der laue Wind verschafft angenehme Kühlung. Morabito sagt: «Wer ins Wallis zum Biken kommt, lernt unsere wunderbare Region von einer neuen Seite kennen.» Und als Entschädigung für den sportlichen Effort wartet eine gastronomische Belohnung. «Bei Raclette und Wein ist unser Kanton besonders schön», sagt Morabito, schwingt sich auf sein E-Bike und fährt fast schwebend davon. Es ist, als wäre er von einer Muse geküsst.
Text : Thomas Renggli Fotos : David Carlier
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